Laura und der Glücksstern

Wie fast jeden Abend konnte Laura auch diesmal lange Zeit nicht einschlafen. Sie lag in ihrem Bett im Waisenhaus und hörte das gleichmäßige Atmen der anderen Kinder. Laura war traurig. Seit einem Jahr war sie nun schon hier. Die Erinnerung an ihre Eltern verblasste immer mehr. Laura fiel es von Tag zu Tag schwerer sich die Gesichter ihrer Eltern vorzustellen. Das machte dem kleinen Mädchen Angst. Würde sie ihre Eltern schon bald ganz vergessen haben? Im Waisenhaus war Laura alles andere als glücklich. Wie sehr wünschte sie sich ein neues zu Hause.

Heute war Adoptionstag und es waren viele Leute da gewesen, die ein Kind haben wollten. Wie jedes Mal hatte Laura sich Hoffnungen gemacht und wieder wurde sie enttäuscht. Alle wollten lieber Babys oder Kinder die noch sehr klein waren. Die Chancen für die älteren Kinder, ein neues zu Hause zu bekommen, waren nicht sehr hoch. Mit jedem dieser Adoptionstage schwand Lauras Hoffnung mehr und mehr.

Laura stand leise, bemüht die anderen nicht zu wecken, auf und setzte sich auf das Fensterbrett. Laura sah nach oben in den Himmel und betrachtete die Sterne. Es war eine klare Nacht, so dass viele Sterne da waren. Wie gerne Laura doch in den Himmel schaute um die Sterne anzusehen. Früher hatte sie das immer gemeinsam mit ihrem Vater getan. Er hatte ihr alles über die Sterne beigebracht was er wusste. Laura kannte den großen Wagen, den kleinen Bären und all die anderen Sternbilder die es gab. Auch von den Glückssternen hatte Lauras Vater erzählt. Demzufolge gab es für jeden Menschen auf dieser Welt einen Glücksstern. Jedes Mal, wenn ein neuer Mensch geboren wurde, entstand ein neuer Stern. Dieser Stern hatte die Aufgabe, seinen Mensch zu beschützen und ihm Glück zu bringen. Laura liebte diese Geschichte.

Aber welcher dieser Sterne war Lauras Glücksstern? Das Mädchen sah noch immer hinauf in den Himmel und weil sie so traurig war, fing sie an zu weinen. Auf einmal hörte Laura wie jemand ihren Namen rief: „Laura.“ Aber es war doch niemand ins Zimmer gekommen. Wer sollte ihren Namen gerufen haben? „Laura.“ Die Stimme klang ein bisschen wie Musik. „Wer, wer ist da?“ fragte Laura leise. „Wenn du genau hin siehst dann wirst du mich sehen. Ich bin dein Glücksstern.“ „Mein Glücksstern?“ „Ja.“ „Mein Daddy hat mir von euch erzählt.“ „Das weiß ich Laura. Ich weiß alles über dich. Jeder Glücksstern weiß alles über seinen Menschen. Eigentlich dürfte ich nicht mit dir reden. Das ist uns Glückssternen streng untersagt. Unsere Aufgabe ist es lediglich über euch zu wachen. Nichts anderes.“ „Warum sprichst du dann jetzt mit mir, wenn du das nicht darfst?“ „Es ist ein großes Risiko das ich hier eingehe. Aber ich brauche deine Hilfe Laura.“ „Meine Hilfe? Wie kann ich dir denn helfen?“ „Weißt du Laura, die Welt hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Sie wird immer grausamer und kälter. So viele Menschen sind unglücklich und traurig. Es gibt nur noch sehr sehr wenige Menschen die wirklich glücklich sind. Das hat auch schlimme Auswirkungen auf uns Glückssterne. Nämlich dann, wenn unser Mensch unglücklich ist. Mit jeder Träne die er vergießt wird unser Leuchten schwächer. Und wenn unser Mensch zu viele Tränen vergossen hat, dann sind wir irgendwann ganz erloschen.“ „Das tut mir leid Glücksstern.“ „Wirst du mir helfen Laura? Bitte höre auf zu weinen. Ich möchte nicht erlöschen. Ich existiere doch auch erst sieben Jahre so wie du.“ „Oh Glücksstern. Ich möchte nicht das du erlöschst, aber wenn ich doch so traurig bin.“ „Ich weiß Laura. Du bist immer noch traurig, weil du deine Eltern verloren hast und du auch heute wieder kein Glück hattest. Aber ich weiß, dass du schon bald ein neues zu Hause bekommen wirst. Vertrau mir. Bitte Laura! Es ist wichtig. Sie doch nur, ich bin schon viel schwächer als manche der anderen.“

„OK Glücksstern. Ich will dir helfen und versuche nicht mehr zu weinen.“ „Danke, Laura und denke an das, was ich dir gesagt habe. Gute Nacht.“ „Gute Nacht, Glücksstern.“

Nun ging Laura leise wieder ins Bett und schlief bald darauf ein. Am nächsten morgen fragte Laura sich, ob sie das alles nur geträumt hatte. Oder hatte sie etwa wirklich mit ihrem Glücksstern geredet? Egal wie es auch gewesen sein mochte, Laura musste immerzu an das denken, was ihr der Glücksstern gesagt hatte. Bekam sie wirklich bald ein neues zu Hause?

Eine Woche war vergangen, seit Laura mit ihrem Glücksstern gesprochen hatte. Es war ein sehr schöner Sommertag und Laura hatte die Erlaubnis eine Schulfreundin zu besuchen, die nur zwei Straßen vom Heim entfernt wohnte. Sie war erst wenige hundert Meter vom Waisenhaus entfernt, als sie einen kleinen Hund sah. Er schien sich an der Pfote verletzt zu haben und zitterte. Laura ging näher ran und kniete sich vor dem Hund hin. „He du. Hast du dich verletzt? Hab keine Angst ich tue dir nichts“, versuchte Laura den kleinen Hund zu beruhigen. Langsam, damit sie ihn nicht erschreckte, streckte Laura die Hand aus und strich ihm übers Fell. Wie weich es doch war. Der Hund fasste Vertrauen und leckte Lauras Hand. „Wo kommst du denn eigentlich her?“ Laura griff nach dem Halsband und sah, dass auf der Hundemarke eine Adresse eingraviert war. Diese Adresse war nicht sehr weit entfernt. Die Straße musste in der Nähe der Schule sein, denn Laura war sich ziemlich sicher, dass sie den Straßennamen auf ihrem Schulweg schon mal gelesen hatte. Laura beschloss, den Hund nach Hause zu bringen. Da er nicht laufen konnte, nahm Laura ihn auf den Arm. Allerdings war er um einiges schwerer als sie gedacht hatte. Aber Laura hatte sich vorgenommen ihn nach Hause zu bringen und das würde sie nun auch tun. Sie konnte ja zwischendurch eine Pause machen.

Mit dem Hund auf dem Arm schien der Weg doppelt so lang zu sein. Völlig erschöpft erreichte Laura endlich die Adresse die auf der Hundemarke stand. Es war ein großes Haus. Die Leute die darin wohnten mussten sehr reich sein. Laura klingelte und wartete. Endlich wurde die Tür geöffnet. Die Frau die geöffnet hatte blickte Laura freundlich an. Den Hund in Lauras Armen hatte sie noch nicht gesehen. „Guten Tag“, sagte Laura. „Ich habe ihren Hund gefunden. Er hat sich an der Pfote verletzt.“ „Du hast Kim gefunden? Wie schön. Sie ist mir heute morgen weggelaufen und ich habe mir große Sorgen gemacht. Komm, ich nehme sie dir ab.“ „Danke. Sie ist ganz schön schwer. Meine Arme tun schon weh.“ „Du siehst auch ziemlich erschöpft aus. Willst du kurz reinkommen und dich ausruhen? Wie heißt du denn?“ „Ja gerne. Ich heiße Laura.“ Laura ging neben der Frau ins Haus. Laura mochte diese Frau auf anhieb gerne. Wie schön wäre es doch, wenn das hier ihr neues zu Hause werden könnte. „Du kannst mich Angelika nennen“, hörte Laura die Frau sagen. „Möchtest du etwas trinken Laura?“ „Ja bitte, wenn ich darf.“ „Natürlich. Sieh mal, dort ist das Wohnzimmer. Geh schon mal vor und ich hole in der Küche was zu trinken.“ Laura ging also ins Wohnzimmer. Ihr Blick fiel sofort auf das Teleskop das dort stand. Es war noch viel besser, als das das ihr Vater besessen hatte. Laura war so fasziniert von diesem Teleskop, dass sie nicht bemerkt hatte, dass sie nicht mehr allein war. „Laura?“ „Oh, entschuldigen sie. Ich habe mir nur das Teleskop angesehen. Ich mache es bestimmt nicht kaputt.“ „Wenn du willst, kannst du auch mal durchsehen.“ „Ach, nein. Es sind ja jetzt auch gar keine Sterne zu sehen“, lehnte sie das Angebot ab. „Siehst du dir gerne die Sterne an?“ wollte Angelika von ihr wissen. „Ja. Und wie. Ich habe sie immer mit meinem Vater angesehen. Er hat mir alles über sie beigebracht was er wusste. Ich kenne schon alle Sternbilder“, erzählte Laura begeistert. Dann wurde sie traurig. Nie wieder konnte sie mit ihrem Vater die Sterne ansehen. Doch sie erinnerte sich an ihr Versprechen. Ihr Glücksstern durfte nicht erlöschen. Also lächelte sie wieder. Aber der kurze Augenblick von Traurigkeit war nicht zu übersehen gewesen. „Warum bist du traurig? Möchtest du es mir erzählen?“ fragte Angelika. Laura war sich nicht sicher. Diese Angelika war wirklich sehr nett, aber Laura kannte sie doch nicht. „Ich weiß nicht. Sie können mir ja doch nicht helfen.“ sagte Laura deshalb. „Das weißt du doch nicht. Ich könnte versuchen dir zu helfen.“ „Es ist, weil ich mich manchmal so allein fühle. Meine Eltern sind gestorben und im Waisenhaus ist es gar nicht sehr schön. Ich wünsche mir so sehr ein neues zu Hause. Aber die Leute die ein Kind adoptieren wollen, nehmen immer nur die Babys und die ganz Kleinen. Wenn man so groß ist, wie ich es schon bin, hat man keine Chance mehr.“ „Das mit deinen Eltern tut mir leid Laura. Aber irgendwann wird bestimmt auch jemand dich adoptieren wollen.“ Laura unterhielt sich noch eine ganze Zeit mit Angelika, bevor sie ging. Kim hatte ihr zum Abschied wieder die Hand geleckt. Das mit der Pfote war nicht ganz so schlimm gewesen und Kim konnte schon wieder ganz leicht auftreten.

Da es sich nun nicht mehr lohnte zu ihrer Freundin zu gehen, ging Laura direkt zurück ins Heim. Am Abend, als alle schon schliefen, setzte Laura sich wieder auf das Fensterbrett und blickte in den Himmel. „Hallo Glücksstern. Du musst mir nicht antworten. Ich weiß ja, dass du eigentlich nicht mit mir reden darfst. Kannst du nicht machen, dass Angelika mich adoptiert? Sie war so nett und hat so ein schönes Haus. Kim habe ich auch sehr lieb. Es wäre so toll, wenn ich dort wohnen könnte. Ich wünsche es mir so sehr. Kannst du mir helfen Glücksstern?“

Laura konnte ja nicht wissen, dass ihr Wunsch schon dabei war, sich zu erfüllen. Denn auch Angelika Jacobs hatte das kleine Mädchen sofort ins Herz geschlossen. Wie tapfer es doch gewesen war. Es hatte nicht mal geweint, als es vom Tod der Eltern erzählt hatte. Vielleicht konnte sie dem Kind seinen Wunsch erfüllen. Das Haus war groß genug. Als ihr Mann von der Arbeit nach Hause gekommen war, hatte sie ihm von dem Mädchen und ihrer Idee erzählt. Werner Jacobs war sofort einverstanden. Er und seine Frau konnten keine Kinder bekommen. Früher hatte er ihr oft vorgeschlagen, dass sie ein Kind adoptieren könnten. Doch Angelika hatte immer abgelehnt. Dieses Mädchen musste etwas Besonderes sein, wenn sie es so schnell geschafft hatte, das Herz seiner Frau zu erobern.

Zwei Tage später spielte Laura im Garten des Waisenhauses, als Melissa zu ihr kam. „Du sollst zur Direktorin ins Büro“, sagte ihr diese. Also unterbrach Laura ihr Spiel und ging ins Haus. Was mochte die Direktorin von ihr wollen? Sie hatte doch nichts ausgefressen. Als sie ins Büro der Direktorin trat, sah sie das Angelika und ein Mann dort waren. „Hallo“, sagte Laura. „Laura würdest du dich bitte kurz zu uns setzen.“ wurde sie von der Direktorin aufgefordert. Als Laura sich hingesetzt hatte, fuhr sie fort: „Frau Jacobs kennst du ja bereits. Sie hat mir erzählt, dass du ihren Hund zurück gebracht hast. Und das dort ist Herr Jacobs. Die Beiden sind hier, weil sie dich gerne adoptieren möchten. Was hältst du davon? Bist du einverstanden?“ Laura konnte kaum glauben was sie da gerade gehört hatte. Sie sollte adoptiert werden. Endlich! Und dazu auch noch von Angelika. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Ja. Das habe ich mir so sehr gewünscht, seit ich dort war.“ Vom Rest des Gesprächs bekam Laura nicht mehr viel mit. Sie war glücklich. Schon am nächsten Tag konnte Laura zu den Jacobs ziehen. Bei den Formalitäten hatte es keinerlei Schwierigkeiten gegeben und in ein paar Wochen würde Laura offiziell das Kind von Werner und Angelika Jacobs sein.

Laura mochte ihr neues zu Hause. Schon nach wenigen Tagen waren Laura und Kim fast unzertrennlich. Laura liebte ihren neuen Eltern und diese liebten ihre neue Tochter ebenso sehr. Endlich war Laura wieder glücklich.

In der nächsten sternenklaren Nacht stand Laura am Fenster und suchte ihren Glücksstern, zwischen all den anderen Sternen. Laura wollte sich bei ihm bedanken. Zuerst sah sie ihn nicht. Aber als sie ihn dann entdeckte freute sie sich sehr. Sein Leuchten war wieder stärker geworden. Er blinkte nun viel mehr als die anderen Sterne am Himmel. „Hallo Glücksstern. Ich wollte dir nur kurz danke sagen.“ „Nein. Ich danke dir Laura. Sieh nur wie toll ich nun wieder leuchte“, freute sich der Glücksstern. „Ja, du siehst toll aus. Aber vielleicht solltest du lieber nicht mehr mit mir reden. Wo du es doch nicht darfst. Ich möchte nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst. Ich weiß ja jetzt, dass du da bist und auf mich aufpasst.“ „Ja das bin ich, vergiss das nie. Gute Nacht, Laura.“ „Gute Nacht, Glücksstern. Ich hab dich lieb.“

(von "Teardrops", danke)

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